Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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Von der Zukunft der Helden

Eine eigenwillige Gleichzeitigkeit: In postheroischer Zeit feiert gerade das Heldische fröhliche Urstände. Ist der Mensch hoffnungslos heldensehnsüchtig? Oder: Was wir vom Heldenmenschen der Zukunft noch erwarten dürfen.

Es war einmal...

„Helden“ – allein das Wort macht verlegen, lässt ein wenig verschämt nach unten oder zur Seite schauen. Wer wollte noch von „Helden“ sprechen, sie gar preisen oder besingen? Ob Helden überhaupt noch einen Ort in der Gegenwart haben? Und wer das sein könnte – ein Held, heute, in heldenskeptischen Zeiten? Es ist kaum möglich, diesen Fragen zu entgehen, wenn man über Helden spricht. Doch zunächst blickt, wer „Held“ sagt, zurück, bewegt sich im Vergangenen, gräbt in den Schatzkisten der Mythen und Legenden und stößt im Kuriositätenkabinett großer und kleiner Erzählungen auf manch Skurriles und Groteskes.

Neben den altbekannten, oft auf ihre bloße Heldenhaftigkeit reduzierten Heroen stehen die Helden zweiter Garde, weniger illuster, weniger verehrt, aber auch weniger toterinnert. In einem gemeinsamen Heimweh, in ihrer Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt treffen sich bekannte und unbekannte Helden, Männer und Frauen, in denen ein Feuer brannte, das sie oft von innen heraus verzehrte und schnell verglühen ließ. Odysseus und seine Gefährten winken über die Zeiten hinweg den Helden moderner Revolutionen und Abenteuerfahrten zu. Freundlich grüßen David, der seinen Mut gegen Goliath bewies, und Johanna, die heilige Jungfrau, andere Heldinnen und Helden des Widerstands gegen die Mächtigen und Unterdrücker, der oft erfolglos, nie aber sinnlos war. Manche von diesen Helden haben in dunklen Jahren die Ehre der Menschheit gerettet. Sie bleiben von Bedeutung, Vorbilder auch für die Zukunft noch. Doch nicht wenige Helden der Geschichte sind uns Heutigen fremd geworden. Sie sind zu allzu populären Vorbildern erstarrt, haben ihre besten Tage hinter sich.

Freilich, ein bunter Kreis käme zusammen, wenn sich die Heldinnen und Helden aller Zeiten versammelten. Schwerter lägen neben weißen Rosen; Helme ruhten auf Büchern, die Heldinnen und Helden der Wissenschaft geschrieben haben – um der Wahrheit willen, gegen das, was der herrschende Geist ihnen und allen anderen vorschrieb, gegen Lug und Trug, eitle Meinungen, die vor der Geschichte keinen Bestand haben sollten. Insgesamt nur wenige Frauen würden sich in dieses heroische Symposium verirren. Das Heldenhafte stehe ihnen nicht, so lässt man vernehmen. Sie hätten, äußern sich manche, andere Aufgaben. Für sie sei Man(n) Held. Doch, so hört man auch, sie seien einfach nur anders heldenhaft, oft übersehen, selbstloser, weniger an Nachruhm als vielmehr an dem, was unmittelbar Not tue, interessiert.

Doch ehe man sich versieht, zeigt das elysische Idyll Brüche, Schatten, Dissonanzen. Im Hintergrund, doch kaum geschützt vor den Blicken einer heldentrunkenen Öffentlichkeit, sitzen andere, traurigere Helden, jene, die einen sinnlosen Heldentod starben, die sich in jungenhaftem Übermut verheizen ließen, deren phantastische Siegesgewissheit, ehe sie wieder zu Sinnen kamen, in panische Angst umschlug, die auf dem Altar der Geschichte und großer Ideale geopfert wurden – allein gelassen im Dreck, mit leeren Augen in ein verstummtes Himmelszelt

Was also bleibt, sind die Stars und
Sternchen, sind Dschungelkönige und
Superstars.

Holger Zaborowski

stierend, ohne Hoffnung auf ein blumengeschmücktes Grab. Kein geordneter Kosmos mehr, kein wohlwollender Gott über ihnen, nur noch ein fernes, sich in einem kalten Unendlichen verlierendes Echo ihrer letzten, tierischen Schreie, ein unvollendeter Brief an die Liebste, die bangen Eltern in der Seitentasche.

Der Held, so zeigt dieser Blick auf sein vergangenes Reich, gehört – irgendwie – zu einer aus- und absterbenden Art, ist in der Krise, war einmal ...

Heldenentzug

In der Erinnerung, dort leben Helden zunächst noch weiter. Und es geht ihnen dabei nicht schlecht: Ihr Konterfei ziert Briefmarken und prächtige Bildbände, in Marmor stellt man sie an den Straßenrand, auf Plätze und in zugige Ecken. Gelegentlich noch gönnt man ihnen einen Kranz, ein Memento, einen Straßennamen. So überlebt der Held, domestiziert durch den Blick der Historiker und Literaturwissenschaftler, die ihn kategorisieren, auf den Begriff bringen, hegen und pflegen, durch das Auge der Filmkameras, die ihn stilisieren und ihm in ihrer Suche nach dem Archetypischen, dem Idealen, alles wegschleifen, was ihm ein eigenes Gepräge, den Reichtum eigener geschichtlicher Existenz gegeben hätte, oder durch feierliche Gedenkstunden und wortreiche Sonntagsreden, die schnell vergessen sind und einem unheroischen Alltag weichen. Verniedlichen lässt er sich auch, der Held,

Wo die Götter fehlen, wo Gott tot ist,
versiegen auch die Quellen der Helden.

Holger Zaborowski

tauglich für Gutenachtgeschichten oder für ein kurzes Lied, das in Moll weit eher als in Dur heldenhaften Mut beschwört – ein Abgesang auf die großen Gestalten, von denen einst Epen kündeten. Dann entschwinden sie langsam ganz, werden hier und da spielerisch noch zitiert, auch wenn man sich ihrer nur noch blass erinnert, spielen in der Werbung, im Karneval, in virtuellen Spielwelten noch eine kleine, nur bescheidene Rolle und gleiten in eine andere, nicht mehr zugängliche Welt hinüber.

Nach dem „Tod Gottes“

Heilige gibt es, weil es Gott gibt. Ohne Gott keine Heiligen. Daher ist jeder heilige Mensch ein lebendiger Beweis Gottes. Doch irgendwie gilt dies auch für Heldenmenschen, ob Mann, ob Frau, ob jung, ob alt, ob reich oder arm: Nur wo Götter noch die Welt durchleben – und sei es auch ein einziger – können Helden noch sein, was sie sein wollen – und sollen. Wo die Götter fehlen, wo Gott tot ist, wo es keinen Sinn mehr gibt, für den sich zu leben, aber auch zu sterben lohnte, versiegen auch die Quellen der Helden. Was kann man – nach dem Tode Gottes – auch mit Helden noch anfangen? Was können Helden noch mit uns – die wir für sie zu spät kommen – anfangen? Wer könnte ihnen übel nehmen, dass sie sich entziehen? Und es bleibt fraglich, ob sie der Welt ein letztes Adieu sagen oder ob nicht letztlich nur die Welt ihrer entsagt und überdrüssig wird. Was hätten sie noch zu sagen, wo der Durchschnitt und das Mittelmaß regiert, wo allerorten Gutachten eingeholt, Versicherungen abgeschlossen, Genehmigungen beantragt werden müssen? Wie könnten sie das, was sie taten, was sie großmachte, noch erklären oder verständlich machen?

Helden müssten nämlich alte, grau gewordene Worte nutzen, von Ehre reden und von Größe, von Demut aber auch und von Pflicht; sie müssten von dem einsamen Ruf ihres Gewissens, der stillen Gewissheit, nicht anders zu können, sprechen. Und sie könnten nicht anders als ein Wort zu wagen über das Opfer und über jenen Anspruch, der auch das Risiko, das Leben zu verlieren, rechtfertigte. Wo Götter fehlen, wo sie tot sind oder sich aus der Schöpfung zurückgezogen haben, wo alles sinnlos erscheint und trotzdem alles möglich geworden ist, sind jene, die Überzeugungen haben, die wissen, was sie tun – sollen, die etwas oder gar sich selbst opfern, die Dummen. Das Opfer ist dann nur noch sinnvoll innerhalb der Logik der Selbststeigerung, der permanenten Arbeit an sich selbst. Dann aber hat es einen anderen Namen. Es geht nur noch um Investitionen, um die Kalkulation des eigenen Vorankommens. Wo Götter sterben, nehmen Menschen nämlich ihre Stelle ein. Helden, die ein anderes Leben kennen könnten, stören da nur noch. Was also bleibt und sich in ihrem langsam verblassenden Scheine sonnt, sind die Stars und Sternchen, die Eintagsfliegen gleich sich ins Scheinwerferlicht drängen, sind Dschungelkönige und Superstars, sind Mädchenschwärme und Altherrenphantasien.

Helden – Anti-Helden

Bleiben nicht auch die Antihelden? Denn wo könnten sie bedeutsamer erscheinen als dort, wo jene, von denen sie sich absetzen, als deren Gegenteil sie erscheinen, nur noch eine untergeordnete, eine langsam verblassende Rolle spielen? Es gibt einige Anzeichen dafür, dass das postheroische Zeitalter noch nicht das post-antiheroische Zeitalter ist, dass zumindest im Modus der Negation der Held überlebt hat.

Wo heute Helden gefeiert werden, im Heldenfilm etwa, ist die Grenze zwischen Held und Antiheld fließend geworden. Wenn ein Held zu heldenhaft agiert, gleitet er schnell ins Komische ab. Der Held wird zu seiner eigenen Karikatur. Das Tragische und das Komische, das Heldenhafte und sein Gegensatz sind einander oft so nahe, dass das eine schnell als das andere erscheint. Denn wenn die klassischen Kriterien für den Helden nicht mehr gelten oder gar nicht mehr verstanden werden, wirkt, wer sein Leben an ihnen ausrichtet, allein schon deshalb wie ein Monument aus längst vergangenen Zeiten, wie ein Besucher aus einer anderen Welt. Daher sind Kriegsfilme oft – nicht selten auch wider Willen – Antikriegsfilme. Nicht zuletzt zeigt sich doch das Ganze, der Rahmen, der Heldenhaftes überhaupt möglich macht, als zutiefst fragwürdig. Nicht selten wird dem Helden daher sein Heldsein ausdrücklich, ob er es will oder nicht, relativiert. Oft trägt er auch eine Wunde, eine Verletzlichkeit, die ihn als gar nicht so göttergleich erscheinen lässt. Andere Helden der Gegenwart umgibt der Ruf des Hochstaplers. Oder der Held ist – wie James Bond in jüngerer Zeit – so übermenschlich heldenhaft, dass das heroische Epos urkomisch wird. Wer auch immer ein solches Epos erzählt, tut dies mit einem Augenzwinkern, spielt mit den Erwartungen und Traditionen, lässt das Heldische und Anti-Heldische in trauter Zweisamkeit auf die Bühne treten.

Der postmoderne Held hebt sich also selbst auf, während anderswo der Antiheld immer auch als Held

Nicht wenige Helden sind uns
Heutigen fremd geworden. Sie
haben ihre besten Tage hinter sich.

Holger Zaborowski

erscheint – vielleicht einfach deshalb, weil er in Wort und Tat oder einfach dadurch, dass er anders, als er ist, gar nicht sein kann, die Maßstäbe des Heldenhaften in Frage stellt. Dick und Doof sind – weder schön noch klug – sowohl Antihelden als auch Helden. Das gilt auch für Donald Duck aus Entenhausen oder für jene, die nur zufällig zu Helden werden oder die gar nicht merken, dass sie Heldenhaftes getan haben und sich ob der Verehrung, die ihnen plötzlich entgegengebracht wird, nur wundern.

Der Anti-Held ist lebendig – doch, wie man vermuten kann, nur auf Kosten, nur im Gegenüber des Helden. Ihm scheint ein längeres Leben beschieden, ein längeres Echo in postheroischen Zeiten. Doch kann man vermuten, dass, je weiter der Held in die Vergangenheit rutscht, dieses Schicksal auch mehr und mehr den Antihelden widerfahren wird. Übrig bleibt dann unverstandene Komik, ein wohlfeiles Spiel, dem kaum noch der Name der Komödie gerecht wird. Denn ohne heldenhafte Tragödien gibt es auch keine Komödie mehr, sondern nur noch albernen Schalk. Kein Held ohne Anti-Held. Aber auch kein Anti-Held ohne Held. Was aber bleibt dann? Nur noch Spuren, die darauf, was einst mal war, verweisen?

Eigentlich leben

Die Sehnsucht bleibt, ein Verlangen, das sich kaum stillen lässt: nach Helden, die das Leben lebenswert machen, deren bloße Existenz die Gewissheit schenkt, dass der Unsinn nicht das letzte Wort behält, dass, was immer auch geschieht, nicht sinnlos, sondern gut ist. Nicht etwa, weil die Helden selbst Quelle des Sinns wären, sondern weil sie etwas bezeugen ... auf etwas hinweisen, auf jenen Sinn, der uns leben lässt – und sterben. Anders könnte man die Omnipräsenz von Helden und Heldinnen in der Gegenwart nicht erklären, jenes Phänomen wider den Trend, dass, je weniger heldenhaft und heldenwürdig die Zeiten werden, umso mehr ihre vergangene Größe und Blüte in Erinnerung gerufen, ja, beschworen wird.

Sehnsucht nach Helden – bedeutet das eigentlich nicht: Sehnsucht nach ganz anderen Helden? Sehnsucht nach neuen Helden, die ihre Rüstung abgelegt haben? Heldinnen und Helden der Zukunft, jenseits der Klischees, Helden die zeitgemäßer sind, vielleicht auch menschlicher und uns näher? Heldinnen und Helden, die das Beste ihres Erbes bewahren und doch mitten im Jetzt stehen? Vielleicht leben wir dann nicht im postheroischen Zeitalter, sondern in jenem Zeitalter, in dem heldenhafte Menschen noch kommen werden, in dem sie nicht einfach einmal waren, sondern immer noch erwartet werden: als Versprechen oder Verheißung.

Leicht könnte man von hier den Sprung zu einem Nietzscheanischen Übermenschen wagen, einem neuen Menschen, dem besseren Menschen, von dem uns die Wissenschaften, die Technologien des Selbst und der Gesellschaft allzu gern ein Lied singen. Doch wäre das ein Held der Zukunft oder nicht einfach die Wiederholung eines bestimmten Heldentypus, der, so scheint es doch, seine Zeit gehabt hat – und zwar zu Recht?

Man könnte den Heldenmenschen der Zukunft auch anders verstehen, nicht als außergewöhnlichen Menschen – als besonders durch jene Eigenschaften, die gerade en vogue sind –, nicht als besseren Menschen – als besser, wie auch immer gerade Wissenschaft, Technik, Politik, Gesellschaft oder Religion menschliches Besser-Sein definieren, sondern als eigentlichen Menschen, als jenen Menschen, der zu einem Bild dessen, was Menschsein eigentlich heißt, geworden ist, der einfach nur – nicht mehr, nicht weniger – Mensch ist, so, wie man über einen Menschen sagt: „Das war ein Mensch!“

Wer so Mensch ist, ist auch ein Vorbild, aber nicht, weil er mehr als Mensch wäre, sondern weil er, was selten genug vorkommt, einfach nur ist, was jeder Mensch sein soll. Das ist ein wichtiger Unterschied. Nicht jeder Mensch – ganz abgesehen von der Frage, ob das heute noch zeitgemäß wäre oder nicht – kann, noch soll er Odysseus oder Siegfried oder James Bond sein. Aber jeder Mensch kann und soll Mensch sein, also in seinem Leben, dem, was er sein könnte, möglichst nahekommen. Und da Menschen immer wieder davor fliehen, sie selbst zu sein, gehört der ganz einfache Mut dazu, ein Selbst, ein Mensch zu sein. Diese Aufgabe stellt sich je neu, man wird nie mit ihr fertig: der Held, der aus der Zukunft auf uns zukommt und der im Reich des Möglichen, des Offenen, des Überraschenden sein Zuhause hat.

Eigentlich sind solche Helden keine gänzlich Unbekannten. Manch klassischer Held ist eigentlich auch ein solcher Held der Zukunft – und manch Antiheld auch. Selten hat man diese Helden des Menschseins allerdings ausdrücklich Helden genannt. Ja, sie sind oft noch nicht einmal die berühmt-berüchtigten „Helden des Alltags“. Sie sind ja Helden ganz anderer Art. Helden des Gewöhnlichen, des Einfachen, der überzeugten Tat, aber auch des beherzten Sein-Lassens. Sie verdichten in ihrer Existenz eigentliche Menschlichkeit. Verwundbar sind sie. Nichts Besonderes wollen sie sein. Sie gehen ihren Weg, ohne herrschen oder alles durchschauen zu wollen, manchmal führt er auf die Höhe, dann wieder in die Tiefe, nicht selten auch in die Irre, bis in Verzweiflung und Einsamkeit hinein. Sie haben den Geschmack der Freiheit verspürt, das Wagnis, sich entscheiden zu müssen, und fliehen nicht vor der Verantwortung gegenüber sich selbst, den anderen Menschen, der Welt. Sie versuchen, hin und wieder ein eigenes, ein wahres Wort zu sprechen, einen Satz, den es nie zuvor gab. Sie lieben die Frische des Morgens. Das Versprechen eines neuen Anfangs nehmen sie dankbar an. Sie freuen sich über das Licht der mittäglichen Stunde, die Wärme der Sonne, die Wende vom Wachsen zum Vergehen, die Rast auf oft mühsamer Wanderschaft. Sie verweilen gerne in der Dämmerung, die einen Blick zurück erlaubt und stille werden lässt. Und sie fürchten sich nicht vor der Dunkelheit der Nacht, die sie in sich selbst finden und dort, wo das Sein keinen Grund mehr hat und sie in ein Nichts schauen, das alle Fülle in sich bergen könnte. Dort, an diesem Unort, könnte es auch sein, dass der alte, tot geglaubte Gott sich noch einmal zu Worte meldet und sie anspricht, zärtlich vielleicht, und sie bittet, ein kleines Stück ihres Weges mitgehen zu dürfen.