Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Gerd Neuhaus Fundamentaltheologie. Zwischen Rationalitäts- und Offenbarungs- anspruch Regensburg: Friedrich Pustet Verlag. 2013

Die Sünde ist immer und überall

In seiner Fundamentaltheologie markiert Gerd Neuhaus die Grenzen von Glauben und Vernunft.

Gebt jedermann Rechenschaft über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Dieser im ersten Petrusbrief 3,15 formulierten Aufforderung ist der Bochumer Theologe auf überaus originelle Weise nachgekommen. Im Kern deckt seine Fundamentaltheologie Widersprüche auf, in die sich die Vernunft immer wieder neu verwickelt und die im Kontext des Glaubens als Sünde zur Sprache kommen. Vom Leser wird erwartet, dass er den Boden einer prinzipiell jedermann zugänglichen Vernunft betritt und sich der Anstrengung des Mitdenkens aussetzt. In Aussicht gestellt wird eine nachvollziehbare Begründung des Glaubens an Jesus als den Christus. Das zentrale Anliegen des Verfassers besteht darin, Vernunft und Glaube in ein fruchtbringendes „Wechselspiel“ (22) zu bringen: Gegen einen Vernunftglauben, der Offenbarung ablehnt, und gegen einen Offenbarungsglauben, der Vernunft ablehnt, begreift er Vernunft und Glaube als sich wechselseitig herausfordernde Vermögen – was Anfragen der Vernunft an den Glauben ebenso zulässt wie Kritik des Glaubens an den Grenzen der Vernunft.

Die Fundamentaltheologie geht im klassischen Dreischritt vor: Im 1. Kapitel wird „Gott – ein angeborenes Bedürfnis menschlicher Vernunft“ entfaltet (demonstratio religiosa). Das 2. Kapitel handelt von der Aufklärungskraft der Bibel und vom „Gott Jesu Chris-
ti“ (demonstratio christiana). Unter der Überschrift „Gottes Drama mit seiner Schöpfung – die Kirche auf dem Weg zur Vollendung der Welt“ wird im kürzeren 3. Kapitel die Kirche thematisch (demonstratio catholica). Der Fundamentaltheologie kommt zugute, dass der Religionslehrer Neuhaus komplexe Zusammenhänge verständlich vermittelt und durch Beispiele veranschaulicht. Hier kann nur eine Skizze der komplexen philosophischen und theologischen Argumentation gegeben werden.

In ihrem Vollzug stößt die menschliche Vernunft auf den Gedanken (bzw. die Idee) eines „Größeren“. Wer nach den Fernsehnachrichten zu dem Ergebnis kommt: „Die Welt ist doch ein reines Chaos“, kann diesen Satz nur formulieren, weil er implizit von dem Gedanken eines „Jenseits“ des Chaos und somit vom Gedanken eines „Größeren“ Gebrauch macht. Auf diese wirkliche, aber nicht gegenständlich zu verstehende Idee eines „Größeren“ stoßen wir auch bei dem für unsere Lebensentwicklung – und damit unser Zur-Vernunft-Kommen – notwendige Erfahrung des Urvertrauens. Obwohl Eltern wissen, dass vieles in der Welt nicht in Ordnung ist, vermitteln sie ihrem Kind ein „Größeres“, nämlich das Vertrauen, dass die Wirklichkeit im Letzten doch in Ordnung ist. Damit versprechen sie mehr, als sie halten können: Belügen sie ihr Kind? Wird dessen Leben nicht mit überzogenen Erwartungen überfrachtet? – An diese Fragen koppelt der Autor brillante Analysen der beiden Filme „Jakob der Lügner“ und „Das Leben ist schön“, die ja beide von der Lebensnotwendigkeit des Vertrauens in die Wirklichkeit und der Rolle der Lüge handeln (51-57).
Diese Überlegungen spielen auf den berühmten Gottes„beweis“ des Anselm von Canterbury an. Neuhaus interessiert sich für dessen Gottesbegriff, der zu einer Denkhandlung auffordert: Anselm schlägt vor, Gott als ein „etwas“ zu bestimmen, „über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. Der so zu denkende Gott ist „etwas Größeres, als gedacht werden kann“ (Proslogion, Kapitel 2 und 15) und muss notwendig als existierend gedacht werden. Nüchtern gibt der Theologe die Grenzen der Vernunft zu bedenken: Aus einer Denknotwendigkeit resultiert noch lange keine Sachnotwendigkeit. Deshalb kann die denkerisch notwendige Annahme der Existenz Gottes ebenso wie psychologische Notwendigkeit des Vertrauens in die Welt eine Täuschung sein.

Kapitel 1: Der postulierte Gott

In Auseinandersetzung mit Immanuel Kant bestimmt der Verfasser seinen Gottesbegriff weiter. Bei der Umsetzung des moralisch Gebotenen in der Welt verwickelt sich die praktische Vernunft in unlösbare Widersprüche, die den Philosophen zu seiner Postulatenlehre zwingen. Kant postuliert Gott als Urheber

Eltern vermitteln ihrem Kind das Vertrauen, dass die Welt letztlich doch in Ordnung ist. Damit versprechen sie mehr als sie halten können.

Thomas Menges

der empirischen und der moralischen Welt; als gnädiger Gott vergibt er den in das Böse verstrickten Menschen ihre Schuld; zur Vollendung der Moral ist die Fortexistenz der Seele erforderlich. Indem Kant mit diesen Postulaten die Vernunft zu einer letzten Einheit zusammenführt, erweist er sich von „der Idee eines ‚Größeren‘ bestimmt“ (33). – Aber, so der religionskritische Einwand, ist ein postulierter Gott nicht eine von der Vernunft produzierte Illusion, wie dies auch beim Urvertrauen oder bei Anselms Gottesbegriff der Fall sein kann? Um eine Antwort auf diese Anfrage zu bekommen, konfrontiert Neuhaus den bislang rein rational entwickelten Glauben an Gott, der sich aus dem der Vernunft eigenen Idee eines „Größeren“ und der Moralität ergibt, mit der radikalen Religionskritik eines Friedrich Nietzsche.

Mit Karl Marx ist Nietzsche der Auffassung, dass die genetische Erklärung, Religion diene dem menschlichen Bedürfnis nach Orientierung, die Frage nach der Existenz Gottes erübrigt. Anders als Marx sieht Nietzsche nicht in den gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnissen, sondern in der radikalen Kontingenz menschlichen Lebens den Grund für das Bedürfnis nach Religion. Ist die religiöse Heteronomie durchschaut und der „Tod Gottes“ ausgerufen, geht auch der Horizont verloren, der Menschen bislang Orientierung ermöglichte (vgl. dazu Text 1). Der Verlust religiöser Orientierung jedoch bedeutet keineswegs schon den Durchbruch zur Vernunft, was die Menschheitskatastrophen des 20. Jahrhunderts verifizieren. Aufklärung bleibt ein unabgeschlossener Prozess.

Gott bildet auch den Hintergrund der von Nietzsche attackierten bürgerlichen Moral. Er charakterisiert sie als Sklaven- bzw. Herren-Moral, die auf wechselseitigem Ressentiment beruhe; Herren und Sklaven gemeinsam ist, so Rainer Bucher, eine „Identitätsbildung bei gleichzeitiger Fremddenunziation“. – Doch kritisieren kann der Religions- und Moralkritiker die Ressentiment-Moral nur deshalb, weil er sich von der Idee eines „Größeren“, nämlich von der Idee einer „wahren“ Moral, leiten lässt. Hinzu kommt, dass auch das religionskritische Argument, ein postulierter Gott sei eine von der Vernunft geschaffene Projektion, vom Gedanken einer „größeren“ Vernunft positiven Gebrauch macht.
Mit großer Klarheit arbeitet Neuhaus heraus, dass sich der Moralkritiker in einen – im religiösen Kontext als Sünde bezeichneten – Widerspruch verwickelt: Nietzsche begreift sich nicht wie die von ihm kritisierten Menschen im Ressentiment verfangen. Er bezieht einen usurpierten höheren Standpunkt, den des „Übermenschen“, von dem aus er auf die Menschen voller Verachtung herabblickt. Damit aber fällt er in die Haltung der Abwertung anderer zur Stabilisierung der eigenen Identität zurück – und verlängert auf diese Weise den angeprangerten, latent oder offen gewaltsamen Denunziationsmechanismus.

Die subtile Beobachtung, „dass der Moral – zumindest im Modus der Versuchung – ein denunziatorisches Moment eigen ist… [und] dass das Moralisieren über Moral die Logik des Ressentiments nur verlängert“ (300), markiert eine grundsätzliche Grenze der Vernunft. Sie dient im zweiten Kapitel als hermeneutischer Schlüssel zur Interpretation biblischer Texte des Alten und des Neuen Testaments.

Kapitel 2: Die Bibel und Jesus Christus

Der Mythos vom Sündenfall

Der Bibel traut der Verfasser „eine nicht zu unterschätzende Erklärungskraft für das Entstehen sozialer Gewalt“, theologisch gesprochen: der Sünde, zu (104). Ein prägnantes Beispiel ist seine Deutung der Erzählung vom Fall des Menschen (Gen 3,1ff). Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen hat Gott verboten (Gen 2,17), weil diese Erkenntnis zu einer Haltung usurpierter Überlegenheit verführt und – mit René Girard gedacht – ein mimetisches Begehren in Gang setzt, das in offene Gewalt umschlagen kann. – Hinzu kommt eine weitere interessante Beobachtung: Die göttliche Untersagung mutiert zu dem Verbot, von keinem der anderen Bäume essen zu dürfen (Gen 3,1). Dahinter verbirgt sich die Einstellung eines Urmisstrauens (Eugen Drewermann), welches erst die Rivalität freisetzt. Aus dieser Perspektive betrachtet besteht die psychologische Funktion des Gottesglaubens darin, dass jeder Mensch sich – im Wissen um die eigene Kontingenz und die Unberechenbarkeit seiner Mitmenschen – unbedingt bejaht weiß (109).

Der Sündenfallmythos demonstriert, dass Adam und Eva mit der Haltung des Misstrauens ihre Nachkommenschaft anstecken. Aus Kain und Abel werden feindliche Brüder: „Der rivalisierende Neid, mit dem Kain auf Abel schaut, macht für ihn das Opfer Abels kostbarer und den Blick länger, mit dem Gott auf dieses Opfer schaut“ (103). Geradezu explosionsartig weitet sich die Gewalt bis zur Sintflut aus (vgl. Text 2).
„Erbsünde“ bezeichnet den anthropologischen Befund, dass Menschen als moralfähige Freiheitswesen einen Hang zur Sünde haben. Die so verstandene Erbsündenlehre thematisiert einen zentralen Aspekt biblischer Offenbarung, der die Vernunft über eine ihr innewohnende Verzerrung aufklärt. Diese Einsicht in dieses Zugleich von Freiheit und Hang zur Sünde – und nicht die Anmaßung eigener Moralität – ermöglicht die wechselseitige Versöhnung miteinander.

Zur Entwicklung des biblischen Gottesglaubens

Wer von der Bibel Aufklärung über Gewalt erwartet, muss sich mit der Tatsache befassen, dass nicht wenige biblische Texte davon imprägniert sind. Ein Grund ist in dem ethnologischen Befund zu sehen, dass die primäre Form sozialer Organisation nicht ein friedlicher Naturzustand, sondern das Ingroup/Outgroup-Verhalten ist. Diesem „Gentilismus“ korrespondiert eine „Gentilreligion“, der – wie der biblische Glaube in seinen Anfängen – der eigene Gott als der stärkere gilt und die deshalb anderen Göttern mit Verachtung begegnet. Menschenopfer (z.B. Ri 11 oder Ex 22,28) zeugen von der Gewaltaffinität der Gentilreligion. Die ungebrochene Bereitschaft zur Opfergabe veranschaulicht der Autor an Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ (132-134).

Mit Bezug auf den Gentilismus vertieft Neuhaus das bislang entwickelte Verständnis von Sünde um eine ethnologische Dimension – als Versuchung nämlich, in das „natürliche“ Ingroup/Outgroup-Verhalten zurückzufallen. Eine stets neu zu erbringende Kulturleistung besteht demnach darin, uns zu unserer primären Natur zu verhalten, um unser egoistisches Erbe im Bewusstsein der Freiheit in Schach zu halten.

Mit dem Glauben an die göttliche Abstammung aller Menschen vom gemeinsamen Stammelternpaar Adam und Eva, dem monotheistischen Monogenismus, überwindet der biblische Glaube zwar den Gentilismus. Doch erst die fundamentale Krise des babylonischen Exils führt zum Durchbruch eines universalen Monotheismus: Wenn gemäß Gen 1,1-2,4a der eine und einzige Gott der Schöpfer aller Menschen ist, dann ergibt sich die ethische Konsequenz, dass die Gotteskindschaft nicht länger exklusiv Israel, sondern allen Menschen gilt. Dass der Monotheismus den Gentilismus nicht überwunden, sondern „nur vergeistigt“ (146) hat, belegt der Autor an Beispielen wie dem der „Zauberflöte“.

Jesus – der Christus

Das Muster, die eigene Identität nach dem Ingroup/Outgroup-Schema zu sichern, begegnet auch in den Evangelien, „wenn sie ein Bild von Leben und Botschaft Jesu zeichnen, das seine Konturen durch die Herabsetzung der jüdischen Gegner Jesu … gewinnt“ (150). Tatsächlich teilt Jesus mit den Schriftgelehrten und Pharisäern die opferkritische Einsicht „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Hos 6,6), in der Realisierung jedoch unterscheiden sie sich. An der Beispielgeschichte vom hochmütigen Pharisäer und bußfertigen Zöllner (Lk 18,9-14) lässt sich unter Heranziehung von Nietzsches Moralkritik Jesu Gesetzeskritik bzw. seine Forderung nach einer „größeren“ Gerechtigkeit präzisieren: Jesus kritisiert die menschliche Neigung, sich im Besitz der wahren Moral zu wähnen und das eigene Handeln identitätsstiftend über das anderer zu stellen; das allerdings ist kein Problem nur der Pharisäer, sondern „ein grundlegendes Problem moralischer Bewusstseinsbildung“ (163). (Auch Paulus hat erkannt, dass das Gesetz zum „Gegenstand eines usurpatorischen Begehrens“ (208) werden kann, und die Antinomie menschlicher Freiheit am eigenen Leib erfahren (vgl. 161f, 208-210).) Jesus kritisiert die Frommen, die sich der göttlichen Barmherzigkeit allzu sicher sind und dabei andere herabsetzen; das ist, wie wir täglich aus den Nachrichten erfahren, ein Problem aller „Gottesbesitzer“ und kann in erschreckenden Gewaltexzessen münden.

Anders als Nietzsche, der ein schlagendes „Beispiel für die Wirklichkeit der Erbsünde“ (188) abgibt, lässt Jesus sich nicht vom Ressentiment leiten. In seiner Person begegnen wir der gesuchten „größeren“, der wahren Moral, die „nicht zur Gebärde von Macht und Gewalt“ (304) verdirbt. Ja, er vergibt noch seinen Feinden – und ist deshalb „wahrer Mensch“. Und weil Jesus nicht mit dem Makel der Sünde, von dem nur Gott erlösen kann, infiziert ist, konnte er aus freien Stücken Gottesmedium, „wahrer Gott“, sein.

Neuhaus greift auf die von ihm modifizierte mimetische Theorie Girards zurück, um „auf der Basis der Evangelien das Kreuzesschicksal Jesu als ein Opfergeschehen zu verstehen“ (159). Die zuvor miteinander rivalisierenden Feinde Jesu schließen sich zusammen, er wird zu ihrem Sündenbock, zum Opfer (Victim) ihrer Gewalt. Doch Jesus lässt die Gewalt ins Leere laufen: Er vergibt seinen Peinigern und hält die Liebe Gottes gegen die Gewalt durch und wird auf diese Weise „in einem fundamental neuen Sinne“ zu einem „sakrifiziellen“ Opfer: „Es zeigt nämlich, dass die gewaltlose Liebe Gottes sich durch menschliche Gewalt nicht zurückweisen und verdrängen, sondern sich eher kreuzigen lässt, als ihr versöhnendes Angebot aus dieser Welt zurückzuziehen.“ (203) Das Kreuz steht demzufolge nicht für einen rachsüchtigen Gott, sondern ist im Gegenteil das Zeichen für die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes trotz der gewalttätigen Ablehnung durch die sündigen Menschen.

Kapitel 3: Sündige Kirche

Die Kirche setzt die Inkarnation, mit der sich Gott in Jesus Christus als unbedingte Liebe geoffenbart hat, in der Geschichte fort und ist insofern der „Leib Chris-
ti“ (1 Kor 12,27). Sie ist von Jesus Christus gestiftet, aber „nicht Ergebnis eines formellen Stiftungsaktes“ (248). Zur geoffenbarten Kirche wird sie durch die pfingstliche Geistsendung, womit sie die Grenzen Israels hin auf die Gemeinschaft aller Völker überschreitet.

Was sich schon im Verhalten der Jünger zeigte, setzt sich in der Kirche fort. Ihrem Wesen nach ist und bleibt sie der Leib Christi, deshalb ist sie heilig. In ihrer geschichtlichen Wirklichkeit ist und bleibt sie von der Macht der Sünde affiziert, deshalb ist sie nicht nur Kirche der Sünder, sondern sündige Kirche. Die heilige Kirche subsistiert in der sündigen Kirche, wie ein idealer Kreis in der Gestalt eines kaum noch abzählbaren Vielecks verwirklicht ist (vgl. 305). Es ist die Anerkenntnis gemeinsamer Schuld und nicht die „Exkommunikation“, die im Raum der Kirche Versöhnung möglich macht. Vollendet indes wird die Kirche

Erst die Perspektive des Glaubens macht Jesus für Christen zum Helden schlechthin.

Thomas Menges

Dass die Kirche als Sakrament bzw. Realsymbol des Heils sich unaufhebbar in einem Verhältnis der Identität sowie quantitativer und qualitativer Differenz zu Jesus Christus bewegt, belegt Neuhaus an einigen prägnanten Stationen der Kirchengeschichte: ihrer Entwicklung bis zur Staatsreligion, dem Investiturstreit, der Reformation und dem Unfehlbarkeitsdogma. Aus diesen Überlegungen folgt dennoch nicht der Verzicht auf jeden kirchlichen Geltungsanspruch, sondern vielmehr eine theologische Reflexion auf seine Grenzen.

Für den Absolutheitsanspruch des Christentums gilt, dass das kirchliche Zeugnis von der Barmherzigkeit Gottes „nicht nur vergegenwärtigt, sondern auch fragmentiert“ (306) wird. Für den Dialog der Kirche mit anderen Religionen folgt daraus die Anerkenntnis, dass sich Momente von Gnade und Wahrheit ebenso bei ihnen finden lassen.

Für den Wahrheitsanspruch des Christentums gilt, dass die Wahrheit, die die Kirche in Anspruch nimmt, ihr als ein an sie selbst gerichteter Anspruch begegnet (vgl. Text 3). Denn die Kirche weiß sich „von derjenigen Wahrheit in Anspruch genommen, über die sie nicht verfügt… Eine Wahrheit, die ihre Erkenntnis zugleich unter ihr kritisches Maß rückt, kann nicht bezeugt werden, ohne das Eingeständnis, dass wir vor ihr immer auch versagen.“ (306)

Schluss

m Kern dreht sich die Fundamentaltheologie um die latent oder offen gewaltsame Sicherung eigener Identität durch die Abwertung der Mitmenschen; dieses Muster gilt Neuhaus als der Inbegriff von Sünde. Hat man dieses Verhaltensmuster erst einmal erkannt, lässt es sich leicht identifizieren – im eigenen Umgang mit den Mitmenschen, im Verhältnis gesellschaftlicher Gruppen zueinander, in der kleinen und der großen Politik. Natürlich muss die Erklärungskraft am konkreten Fall diskutiert werden. Im Unterricht ist mit spannenden Gesprächen zu rechnen. Weil sich das beschriebene Muster immer und überall auffinden lässt, mithin alle Menschen davon angesteckt sind, spricht Neuhaus im Rückgriff auf die kirchliche Tradition von „Erbsünde“. Erbsünde bezeichnet die menschliche „Neigung zum Bösen“ (Katechismus der Katholischen Kirche (1983) 405), von der wir uns nicht selbst befreien können, sondern nur Gott erlösen kann.

Auf Grundlage dieser Überlegungen lässt sich die Frage, ob Jesus ein Held ist, beantworten: Ja, er ist ein Held, denn er überwindet die mit seiner menschlichen Natur verbundene Neigung zur Sünde und hebt sich nicht einmal über seine Feinde. Nein, er ist kein Held, denn sein Leben endet mit dem schmachvollen Tod am Kreuz. Erst die Perspektive des Glaubens, wonach Gott Jesus vom Tod auferweckt und dadurch sein Leben bestätigt hat, macht ihn für Christen zum Helden schlechthin.

Gerd Neuhaus’ differenzierte, insgesamt verständlich geschriebene und mit zahlreichen Beispielen angereicherte Fundamentaltheologie gibt in ihrem Gesamtentwurf und ihren vielen detaillierten Einzelanalysen allen an Theologie Interessierten reichlich Stoff zum theologischen Mit- und Weiterdenken – und mag an einigen Stellen zum Widerspruch provozieren. Lehrreich und anregend ist die Lektüre allemal. Religionslehrer/innen der Oberstufe werden darüber hinaus Passagen entdecken, die sie fruchtbringend in ihren Unterricht einbeziehen können.