Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Jan Assmann Exodus Die Revolution der Alten Welt München: C.H. Beck Verlag. 2015

Monotheismus als Quelle religiöser Gewalt?

In seinem Buch „Exodus“ modifiziert Jan Assmann seine These

Im Jahr 1997 veröffentlichte der Ägyptologe Jan Assmann sein Werk „Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur“. Darin entwickelte er eine These, die bis heute kontroverse, aber genauso fruchtbare und hilfreiche Diskussionen ausgelöst hat und die da lautet, der biblische Monotheismus sei so etwas wie ein kulturgeschichtlicher Sündenfall der Menschheit.

Assmanns ursprüngliche These

Mit seiner Unterscheidung zwischen dem wahren Gott und den Götzen habe der biblische Monotheismus in die Vielfalt der Religionen die Unterscheidung von wahr und falsch eingeführt. Auf diese Weise sei er die Wurzel von Intoleranz und religiös motivierter Gewalt geworden. Demgegenüber sei der Polytheismus im Ansatz gewaltfrei und friedlich. Dazu verweist Assmann auf antike Götterlisten, welche die Feststellung erlaubten, unter welchem Namen die eigenen Götter bei anderen Völkern angebetet wurden. Dies war im Umgang mit Fremden etwa von Bedeutung bei Verträgen, die unter Anrufung des jeweiligen Gottes rechtswirksam wurden, denn hier stellten die besagten Listen die Selbigkeit desjenigen Gottes sicher, der bei einem anderen Volk nur unter einem anderen Namen verehrt wurde.

Für den Ägyptologen ist mit der Entstehung des biblischen Monotheismus ein weiteres Ärgernis gegeben. Während er sich darum bemüht, den Reichtum der ägyptischen Kultur gerade in denjenigen Gehalten in Erinnerung zu rufen, die keine nennenswerte Wirkungsgeschichte entwickelt haben, ist mit dem biblischen Glauben an den einen Gott eine Tradition geschichtswirksam geworden, die Ägypten auf das Sklavenhaus reduziert, dem Israel entronnen sei. Demgegenüber macht Assmann darauf aufmerksam, dass der biblische Mose nicht nur in Ägypten geboren ist, sondern auch seine Erziehung und Bildung am Hof des Pharao erhalten hat. So habe der biblische Monotheismus über Mose seine Wurzel in Ägypten, nämlich im Kult des Sonnengottes Aton, von dem alles Leben stamme und dessen Licht sich in der Göttervielfalt des Polytheismus spiegele. Während aber der biblische Monotheismus Gott streng von der Welt unterscheide, sehe der ägyptische Monotheismus die Vielfalt der Welt in dem einen Gott geborgen, so dass er auch als Kosmotheismus gelten müsse. Dieser bezeuge die Einheit von Gott und Welt und leiste insofern eine menschliche Weltbeheimatung, jener produziere jedoch zwischen beiden ein Verhältnis der Differenz. Beides – die Diffamierung Ägyptens als Sklavenhaus sowie das bisweilen zur Weltverachtung gesteigerte Verhältnis der Differenz – findet Assmann wirkungsgeschichtlich u.a. in einer Bachkantate (BWV 70) ausgesprochen, welche den Tag erhofft, an dem wir „aus dem Ägypten dieser Welt“ ausziehen.

Die Universalität des biblischen Monotheismus

Mit seiner Überzeugung, dass der biblische Monotheismus die Quelle religiös motivierter Intoleranz und Gewalt sei, hat Assmann von Anfang an theologischen Widerspruch erfahren. Gewiss lässt sich nicht bestreiten, dass der biblische Glaube in seinen Anfängen einem Gott gilt, der sein Volk errettet, aber die Ägypter im Meer ertrinken lässt. Doch dieser anfängliche Glaube war gerade nicht monotheistisch geprägt, sondern hatte einen polytheistischen Hintergrund. Er galt nicht der Einzigkeit des biblischen Gottes, sondern seiner Einzigartigkeit, die ihn gegenüber anderen Göttern auszeichnete. „Wer ist wie du unter den Göttern, o Herr?“ (Ex 15,4), fragt Mose darum in seinem Danklied, mit dem er einen Gott preist, dessen Größe sich für ihn darin manifestiert, dass er den Pharao und seine Streitmacht ins Meer geworfen hat. Für diese Gestalt des Polytheismus hat sich der Begriff der Monolatrie (Alleinverehrung) religionswissenschaftlich eingebürgert. Er hält nämlich die Vielfalt der Götter für existent, versagt ihnen aber die Verehrung, weil die Macht des eigenen Gottes die der anderen überstrahlt. Denn dieser „Gott steht auf in der Versammlung der Götter, im Kreis der Götter hält er Gericht“ (Ps 82,1).

ie moralische Qualität des Monotheismus besteht nun darin, dass er diejenige gentilistische Abgrenzung von anderen Völkern überwindet, welche die Monolatrie noch errichtet hat. Denn durchgesetzt hat sich der Monotheismus in der Geschichte des Judentums erst mit dem Babylonischen Exil, als sich die Frage stellte, was es mit einem Gott auf sich habe, der an den Vätern Großes gewirkt hat, nun aber sein Volk so schmählich im Stich lässt. Eine grundstürzende Neuorientierung lieferte in dieser Hinsicht der monotheistische Schöpfungsglaube. Denn wenn der eine Gott die ganze Welt erschaffen hat, dann gibt es nicht – wie noch der Psalm 137 unterstellt – „fremde Erde“, wo das Lob Gottes zu verstummen hätte. Vielmehr soll nun der Gläubige die Fremde als Heimat annehmen und für deren Bewohner beten (vgl. Jer 29,6 ff). Denn wenn der eine Schöpfergott der Vater aller Menschen ist, dann bedeutet dies deren universale Geschwisterlichkeit. So findet das Gebot der Nächstenliebe, das in seiner ursprünglichen Fassung ganz wörtlich dem Nächsten in der Gestalt des Volksgenossen galt (vgl. Lev 19,18), eine entscheidende Entgrenzung. Jes Sir 18,13 stellt darum der begrenzten Liebesfähigkeit des Menschen, die im Rahmen von Familie, Sippe oder Volk befangen ist, die grenzenlose Liebe Gottes gegenüber: „Das Erbarmen des Menschen gilt nur seinem Nächsten, das Erbarmen des Herrn allen Menschen.“ Insofern muss gegen Assmann einstweilen eingewandt werden, dass der biblische Monotheismus im Ansatz diejenige Gewaltbereitschaft überwindet, die ihm unterstellt wird. Seine Götzenkritik lässt sich wahrlich nicht bestreiten, aber die Kritik anderer Götter bedeutet nicht notwendig die Verachtung derer, die diese Götter anbeten. So würdigt Deuterojesaja etwa den persischen König Kyros, der noch nie etwas vom Gott der Juden gehört hat, als den Gesalbten ebendieses Gottes (vgl. Jes 45,1 ff).

Freilich muss eingeräumt werden, dass der biblische Monotheismus zu derjenigen Friedfertigkeit, zu der er im Ansatz anleitet, im Ergebnis keineswegs notwendig gelangt. So enden ausgerechnet die Psalmen 104 und 139, die den einen Schöpfer allen Lebens preisen, mit der Verfluchung derer, die diesem Gott die gebotene Anerkennung verweigern.

Bundestreue als Wurzel religiös motivierter Gewalt ?

Assmann hat dafür eine Erklärung, und diese legt er in vorliegendem Werk in ausführlicher Gestalt vor. Zugleich führt er hier in systematischer Gestalt diejenigen Modifikationen und Konkretisierungen weiter, die er seit „Moses der Ägypter“ an seiner ursprünglichen These vorgenommen hat und mit der er seinerseits theologische Kritik verarbeitet. So vollzieht er die hier genannte Unterscheidung von Monolatrie und Monotheismus nicht mit und zieht es vor, statt von Monolatrie von einem „Monotheismus der Treue“ zu sprechen. Denn der Begriff der Monolatrie erfasse nicht das exklusive Bundesverhältnis, das Gott mit seinem erwählten Volk auf dem Sinai gestiftet habe. Es sei nämlich historisch neu, dass ein Volk seine Existenz „nicht auf Abstammung, Land, Sprache, Herrschaft, sondern auf ein göttliches Gesetz“ (232) gründe. Die Treue zu diesem Gott sei darum auch geprägt von einem Bedürfnis nach Selbsterhaltung und Behauptung der eigenen Identität.

Darum ist zu unterscheiden zwischen der Frage, wer Mose historisch gewesen sei, und der, was er als Erinnerungs- und Identifikationsfigur historisch bewirke. Letzterem gilt das primäre Interesse Assmanns. Die Wahrheit der Exo-
duserzählung liegt ihm „nicht in der Tatsächlichkeit der erzählten Vorgänge, sondern in ihrer Bedeutung für die, die diese Geschichte erzählen“ (192). Ägypten wird auf diese Weise zum „Archetypus der erzählten Verfolgungen, denen die Juden in ihrer leidvollen Geschichte ausgesetzt waren“ (135). Die gedächtnisgeschichtliche Bedeutung Mose reicht dabei weit über das Judentum hinaus. So findet Assmann das Exodus-Motiv in Kants „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ wieder, aber auch im Bewusstsein his-
torischer Sendung, das amerikanische Präsidenten wie Washington, Jefferson und Lincoln jeweils von sich entwickelt haben. Genauso zeigt er auf, wie Arnold Schönberg, Sigmund Freud oder Thomas Mann in ihrem Exil an den biblischen Erzählungen von Mose in Ägypten Orientierung fanden. So hat bezeichnenderweise Assmann jüngst energisch auf die kulturbildende Bedeutung des Alten Testamentes verwiesen, nachdem der Berliner Theologe Notger Slenczka dafür plädiert hatte, das AT aus dem biblischen Kanon zu entfernen.

Von besonderem Interesse sind Assmanns Überlegungen freilich, wenn er im erinnerten Mose, der zur Gründungsfigur jüdischer Identität geworden ist, dann doch Spuren eines historischen Mose entdeckt, der diese Identität mit kritischen Konnotationen versieht und darum mehr sein muss als nur eine Ausgeburt kollektiver Identitätsprägung. Dies ist etwa dort der Fall, wo Mose nicht mit einer Hebräerin, sondern mit einer Midianiterin verheiratet ist. Denn hier ist eben nicht die gemeinsame Abstammung das Kriterium der Bundeszugehörigkeit, sondern die Treue zum Gesetz – eine Bestimmung, deren Wirkung Assmann dann bei Paulus und in seiner Idee eines neuen Israel erkennt (vgl. 243 f).

Sofern nun die Bundestreue den Grundstein der Identität Israels bildet, stellen der Bundesbruch und die mangelnde Treue zum Gesetz eine Infragestellung und Gefährdung dieser Identität dar. So führt der Tanz um das goldene Kalb für jeden, der JHWH die Treue gehalten hat, zu der Aufforderung, gegebenenfalls „seinen Bruder und seinen Freund und seinen Verwandten“ zu erschlagen, so dass „an jenem Tag etwa dreitausend Mann“ fielen (vgl. Ex 32,26 ff). Darin zeigt sich für Assmann, dass der „Monotheismus der Treue“ nicht die Ausprägung einer Gentilreligion ist, mit der eine durch die gemeinsame Abstammung definierte Volksgemeinschaft sich eine religiöse Überhöhung ihres eigenen Existenzrechtes verschafft. Als solche hätte sie den Namen „Monolatrie“ verdient. Anders als in „Moses der Ägypter“ ist damit also nicht die Unterscheidung von wahr und falsch, sondern die von treu und untreu als die Wurzel religiös motivierter Gewalt bestimmt: „Sie trennt nicht ‚wir‘ und ‚sie‘, sondern schneidet mitten durch die eigene Gruppe und trennt Brüder, Freunde, Nächste. Im Licht dieser Unterscheidung gibt es keine natürlichen Bindungen mehr.“ (370) Hier begegnet für Assmann „die Urszene des Gotteseifers“, des Zelotismus und des religiösen Fanatismus (vgl. ebd.).

Wenn also der monotheistische Schöpfungsglaube biblisch nicht zwangsläufig zu derjenigen Grenzen überschreitenden Friedfertigkeit führt, die im Ansatz in ihm angelegt ist, dann liegt das daran, dass der anfängliche Monotheismus der Erwählung und der Treue ihn durchsetzt: „Die Israeliten haben den kosmogonischen Monotheismus zu einem absoluten Monotheismus radikalisiert, so dass der Monotheismus der Treue darin fortleben konnte.“ (400) Die Unterscheidung von wahr und falsch ist also nicht von sich aus gewaltanfällig, sondern nur insoweit sich die Unterscheidung von treu und untreu in ihr fortsetzt. Erst der vorexilische Monotheismus der Treue begründet durch sein Fortwirken die Gewaltanfälligkeit und den Exklusionscharakter, die am nachexilischen Monotheismus der Wahrheit dann beobachtet werden können. Denn gerade als Schöpfungsglaube sei der Monotheismus zunächst einmal friedfertig, weil er die Heiligung der Welt bedeute. Als solche begegne er jedoch nicht in seiner biblischen Gestalt, sondern in seiner ägyptischen Urgestalt. In seiner jüdischen Wirkungsgeschichte münde er in eine Fülle von Ab- und Ausgrenzungen: nach außen gegenüber Ägypten als Sklavenhaus, gegenüber Kanaan als Raum der Götzenanbetung und gegenüber den Völkern schlechthin durch das Bewusstsein der Erwählung, nach innen gegenüber den Frevlern, die sich nicht an Gottes Gebote halten.

Erbarmen statt Treue oder Untreue

Wenn für Assmann der Monotheismus seine friedlichen Implikationen erst dann entfaltet, wenn wir ihn in seiner ägyptischen Urgestalt wieder aufsuchen, dann lädt er den christlichen Theologen zu einer ganz spezifischen Rezeption und Weiterführung ein. Denn er macht deutlich, dass die Unterscheidung zwischen Treue und Untreue nur deshalb so messerscharf getroffen werden kann, weil der Wille Gottes in der Gestalt des mosaischen Gesetzes schriftlich kodifiziert ist. In der Geschichte des biblischen Glaubens tritt nun mit Jesus Chris-
tus etwas ein, was Eckhard Nordhofen den Medienwechsel der Gottespräsenz von der Schrift zum „Fleisch“ nennt. Denn diejenige Nähe Gottes, die für den Juden in der Gestalt von heiligen Texten begegnet, ist dem Christen leibhaftig in dem Menschen Jesus Christus gegeben. Oder christologisch formuliert: Der göttliche Logos wird hier nicht Schrift, sondern Mensch. Der Christ bekennt sich nicht zur Inlibration, sondern zur Inkarnation des Logos.

Wo der Wille Gottes im Medium kodifizierter Texte begegnet, geschieht zwangsläufig die Klassifizierung von Menschen hinsichtlich der Frage, ob sie die Weisungen dieser Texte befolgen oder nicht, ob sie treu oder untreu sind, rein oder unrein. Dabei prägt sich das Identitätsprofil, das die „Reinen“ von sich gewinnen, stets zu Lasten der „Unreinen“ aus. Wie Assmann richtig feststellt, wird auf diese Weise ein Identitätsprofil, das im Ansatz universalistisch ist, im Ergebnis partikularisiert, so dass es in die Exklusion der jeweils anderen mündet.

Diese Paradoxie steigert sich noch einmal, wenn man den einen Gott als jemanden begreift, der seinerseits allen Menschen sein grenzenloses Erbarmen anbietet, das Bekenntnis zur schriftlich gegebenen Zusage dieses Erbarmens jedoch in die erbarmungslose Verachtung derer mündet, die diesem Gott ihre Gefolgschaft verweigern. Überwunden ist dieses Problem erst dann, wenn ein Mensch sich so sehr von dem grenzenlosen Erbarmen Gottes durchtränken lässt, dass es ihn bis in das letzte Mark seiner Existenz von innen her bestimmt. Letzteres bezeugen die Evangelien von Jesus Chris-
tus. Er bezeugt in seiner Person das göttliche Erbarmen auch für die Unreinen und Treulosen und überwindet so die Grenzen, die von denjenigen errichtet werden, „die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt sind und die anderen verachten“ (Lk 18,9). Entsprechend fordert er eine größere Gerechtigkeit als die der Schriftgelehrten und Pharisäer (vgl. Mt 5,20). Dabei ist keineswegs die unter seinen jüdischen Zeitgenossen anerkannte Barmherzigkeitsforderung (vgl. Hos 9,6) strittig, sondern deren exkludierende Funktion, die sie im Selbstbewusstsein der „Gerechten“ gewinnt. Zweimal ruft Jesus nicht etwa die besagte Barmherzigkeitsforderung in Erinnerung, sondern versucht das Bewusstsein dessen zu wecken, was diese Forderung jenseits ihrer Exklusionsfunktion bedeutet: „Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13); „wenn ihr begriffen hättet, was das heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer, dann hättet ihr nicht Unschuldige verurteilt“ (Mt 12,14). Wer auf diese Weise eine Identitätsbildung in Frage stellt, die durch die Haltung der Exklusion bestimmt ist und deren Täuschungen über sich selbst aufdeckt, muss freilich damit rechnen, selbst Opfer dieser Exklusion zu werden. Von hier aus ist der Weg Jesu zum Kreuz angelegt.

Freilich darf diese Wahrheit, welche die Evangelien von Jesus Christus bezeugen, nicht triumphierend gegenüber einem von Selbsttäuschungen durchsetzten Monotheismus der Erwählung und Treue ausgespielt werden. Damit setzte sich die von Assmann so genannte mosaische Unterscheidung in ihrer vermeintlichen Überwindung nur noch einmal fort. Dass nämlich im identitätsbildenden Bekenntnis zu Jesus Christus sich jene Mechanismen des Ausschlusses nur noch einmal fortsetzen, die in Jesus Christus überwunden sind, kann schon in den Evangelien beobachtet werden: Die Jünger streiten sich darum, wer von ihnen beim himmlischen Gastmahl die Ehrenplätze zur Rechten und zur Linken Jesu einnehmen dürfe (Mk 10,35-45); sie streiten sich weiterhin darüber, wer von ihnen der Größte sei (vgl. Mk 9,33-37), und sie behindern einen fremden Wundertäter bei seinen Heilungen, weil er sich zwar auf Jesus beruft, sich ihnen aber nicht anschließt (vgl. Mk 9,38-41). Petrus geht sogar so weit, zum Schwert zu greifen, als Jesus gefangen genommen wird (vgl. Joh 18,10).

Dies wirft dann aber doch ein kritisches Licht auf Assmanns These, dass es eine spezifisch jüdische Gestalt der Identitätsbildung sei, die einen im Ansatz gewaltfreien Monotheismus mit den Mechanismen der Gewalt durchsetze. Dass das Bewusstsein der eigenen Identität – sei es individuell oder kollektiv – sich zu Lasten anderer ausprägt und dass zu einem Gemeinwesen in einem ganz bestimmten Sinn auch diejenigen gehören, die man auf keinen Fall dabeihaben will, ist kein spezifisches Problem des Judentums. Es zeigt sich schon in der gemeinsamen Etymologie von „Zaun“ und engl. „town“ sowie im lateinischen Wort „communio“, in dem etymologisch die Wurzel „moenia“ – die Mauer – steckt.

an Assmann hat als Ägyptologe einen faszinierenden Kommentar zu Mozarts „Zauberflöte“ verfasst. Darin hellt er u.a. die religiösen Hintergründe auf, die mit dem Weisheitstempel Sarastros und der Anrufung von Isis und Osiris begegnen. Dieser Weisheitstempel wird nun in Sarastros „Hallen-
arie“ als einer dargestellt, wo das Gesetz der Rache überwunden ist und allein die Liebe „zur Pflicht“ führt. Dann folgt jedoch ein Satz, dem Assmann keine weitere Beachtung schenkt. Sarastros Blick fällt nämlich auf diejenigen, deren Herz durch seine Botschaft nicht angerührt wird. Von ihnen heißt es dann nur noch lakonisch, dass sie es gar nicht verdienen, Menschen zu sein. Hier kündigt sich im Namen der Gewaltfreiheit und der Liebe schon der Tugendterror eines Robespierre an.

Vielleicht hilft ein anderer biblischer Text weiter, demjenigen Geheimnis der Gewalt auf die Spur zu kommen, das Assmann in der „mosaischen Unterscheidung“ verortet: die Sündenfallerzählung, welche die Erkenntnis von Gut und Böse selbst als Übel bestimmt und in ihrer Wirkungsfolge bald in den Brudermord mündet.